Kolumne: Nach Lichtenegg und in die Noitzmühle

Wenn ich nicht in Richtung Innenstadt gehe, zum Medienkulturhaus, ins Strassmair oder zwischen Gefängnismauer und Lokalbahnhof, vorbei an diesem einsamen Gyros-Imbiss auf einer kleinen Rasenfläche umrahmt von hellgrünen Blumentöpfen, zum Alten Schlachthof, dann mache ich weite Spaziergänge in den schönen wilden Westen von Wels. Mit Rupert und Rosa ging ich bis zu dem geheimnisvollen Ort in der Au, wo Pflanzen und Bäume sich zu seltenen Tieren und Monsterwesen auswachsen, und mit dem Kulturstadtrat war ich in der Produktionsschule. Mit Thomas Rammerstorfer von der Welser Initiative gegen Faschismus ging ich auf den Spuren der wechselhaften Migrationsgeschichte durch Lichtenegg und die Siedlung Noitzmühle.

Im prächtigen Schloss Lichtenegg in der Lichtung eines Parks, am Mühlbach, mit hohen Bäumen hat nicht nur die Tochter der allseits beliebten Kaiserin Sissi gewohnt, sondern kurzzeitig auch die Schwester und der Schwager von Hermann Göring, unweit davon lagen die Flugzeug- und Metallbauwerke. Die Baracken der Wehrmacht wurden nach dem Krieg zum Displaced-Persons-Camp für die wenigen überlebenden Jüdinnen und Juden des KZ Gunskirchen und von anderswo, die später nach Palästina oder in die USA auswanderten, später folgten vertriebene „Volksdeutsche“ aus den Ostgebieten, in den fünfziger und sechziger Jahren ungarische, tschechische, polnische, jugoslawische und vietnamesische Flüchtlinge, später auch Arbeitsmigranten.

Der ungarische Pfarrer Stephan Macsady gründete die in der Form eines Zeltes gebaute Lagerkirche, in der Messen in deutscher, tschechischer, kroatischer und russischer Sprache abgehalten wurden, die einfachen Häuser der Stephanssiedlung wurden für und mit den Flüchtlingen mit Hilfe von internationalen Helfern und Geldgebern gebaut. Rammerstorfer nennt dies eine Art „umgekehrte Integration“, indem die Flüchtlinge die Infrastruktur schufen, in der später auch Einheimische lebten. Die Stephanssiedlung ist heute eine hübsche gutbürgerliche Einfamilienhaussiedlung mit gepflegten Gärten.

Das Aprilwetter dauert in Wels bis Juni und die dunklen Wolken sammeln sich über den weiten Feldern. Auch die eher verrufene Siedlung Noitzmühle, vier auf Sumpf gebaute hohe Türme, hat eine wechselhafte Migrationsgeschichte hinter sich, vor allem aber auch, weil diejenigen, die es sich leisten können, aus den stets feuchten Wohnungen mit den papierdünnen Wänden wieder auszogen. Mir scheint die Siedlung inmitten von Traunauen, Wald und Wiesen in diesem kurzen Augenschein jedoch beinahe idyllisch, obwohl ich natürlich nicht hinter Wände sehen kann.

Die von der Initiative gegen Faschismus konzipierte Ausstellung über die Migrationsgeschichte Lichteneggs, die wir im Altersheim Noitzmühle anschauen wollten, wurde mittlerweile abgehängt und im Keller verstaut. Ob dies wegen der Vernissage der nun hängenden Blumenbilder geschah oder doch etwas über das Geschichtsverständnis der neuen Welser Regierung aussagt, welche die Migrationsgeschichte ihrer Stadt lieber im Keller versteckt, sei dahingestellt.

Kolumne in den OÖN vom 16. Juni 2016

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