Kolumne: Zu Hause in Wels

Ich gehe durch die Straßen von Wels und versuche nicht daran zu denken, dass es vielleicht schon das letzte Mal ist, dass ich hier entlang gehe. Das letzte Mal durch die dörfliche Vogelweide mit den pastellfarbenen Reihenhäusern, das letzte Mal am Sternhochhaus vorbei und die Salzburger Straße stadteinwärts, links die kleinen Häuschen, ein Blumengeschäft und die Fleischerei mit der lachenden Wurst, auf der anderen Seite die Dragonerkaserne, den birkengesäumten Weg der Traun entlang und an den prunkvollen Villen vorbei, über den Stadtplatz, durch die Fußgängerzone, die Schritte gezählt, über den Kaiser-Josef-Platz und am Traunpark-Einkaufzentrum vorbei über die Brücke auf den Reinberg zur Marienwarte, ein letzter Blick hinunter und über die Traun auf Wels, diese unterschätzte Schönheit, das letzte Mal unter einem fahlen Mond der Gefängnismauer entlang zurück zum Hochhaus. Pünktlich zu meiner Abreise kann ich durch die Fenster hinausblicken, und auch das Gerüst auf der Westseite wird bald verschwinden.

Ich wurde ausgesprochen freundlich aufgenommen in Wels, ich habe viele nette Leute kennengelernt und wurde eingeladen auf den Römerweg und auf den Thomas-Bernhard-Weg, zum Kulturstammtisch und ins Pilates, zu Schnipo Schranke und zum Konzert für Schlagwerke und Klavier, ins Theater und auf die Trabrennbahn, zu den römischen Ausgrabungen und zum Fußball, in ein Goldschmiedeatelier und in mehrere Schulklassen, ins Kolpinghaus und in die WOGE, ins Kaiserpanorama und ins Kaffeehaus, in wunderschöne versteckte Gärten und hübsche Wohnungen, sowie auf unzählige weitere Spaziergänge, in die unterschiedlichsten Stadtteile von Wels zwischen Lichtenegg und Neustadt. Die unterschiedlichsten Leute zeigten mir ihr Wels, die Stadt, mit der sie eine komplizierte Liebe und ein leicht unterdrückter Stolz verbindet. Im Dreieck zwischen Hochhaus, altem Schlachthof, Medienkulturhaus und Strassmair war ich zu Hause und konnte mir schnell nichts mehr anderes vorstellen. Die Provinzsehnsucht der Großstädterin wurde erfüllt, indem ich allein irgendwo hingehen konnte, um immer nette und allmählich bekannte Gesichter zu treffen, dennoch war die Stadt genügend groß, um sich auch mal zu verlaufen.

„Für den Wels sind die Teiche Inseln“ (ein Zitat von Tilo Baumgärtel und der Titel einer Ausstellung im Welser Medien KulturHaus) und für mich wurde Wels zu einem temporären Zuhause. Durch meine Schulbesuche in der Berufsschule und in der HAK I kam ich mit den neugierigen und interessierten Jugendlichen dieser Stadt ins Gespräch. Nach einem kleinen Schreibworkshop, in welchem wir die unmittelbare Umgebung der Schule betrachteten und schließlich darüber schrieben, sagte ein Junge, dass ihm Dinge auffielen, die er vorher nie gesehen hatte und dass er die bekannten Orte und Dinge mit ganz neuen Augen betrachtet habe. Also genau das, was ich mit meiner Arbeit hier bestenfalls erreichen wollte.

Vieles habe ich nicht mehr geschafft, zuletzt musste ich geplante Spaziergänge und Treffen absagen, ich war nicht mehr am Almsee, in der Grünau, auf Schloss Puchberg und auf dem Traunstein. Aber ich werde ja sowieso wiederkommen.

Kolumne in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 30. Juni 2016

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