Kolumne: Im Kaiserpanorama

Im Zug fahre ich nach ein paar Tagen über Fronleichnam in Berlin gemeinsam mit dem gesamten katholischen In- und Ausland wieder zurück über Bayern und weiter nach Wels. Im Abteil nebenan sitzt eine syrische Familie, der größere Junge fragt seinen Vater alle paar Minuten etwas, was ich durch die Wiederholung des seltsam betonten „Passau“ als „ist das Passau?“ oder „wann sind wir endlich in Passau?“ deute, die Familie ist schon seit über dreizehn Stunden mit dem „Schönes-Wochenende-Ticket“ unterwegs, von ihrem neuen dauerhaften Aufenthaltsort in Hagen noch einmal zurück zur Flüchtlingsunterkunft in der Nähe der tschechischen Grenze. Im Gegensatz zu den anderen Fahrgästen werden sie nach jeder Station und bei jedem Personalwechsel erneut kontrolliert.

Im Fenster ziehen die Bilder schnell vorbei, mit halbgeschlossenen Augen betrachte ich die von Bahnmasten zerhackte, von Ästen schraffierte frühlingsgrüne Landschaft. Ich denke an das Kaiserpanorama im Welser Medienkulturhaus, an die Lichtbilder, die sich dreidimensional in die Ferne erstrecken, bis das Bild mit einer ruckartigen Bewegung und einem Klingeln sich verabschiedet, vorbeifährt und dem nächsten Bild Platz macht. Eigentlich sind es jeweils zwei Bilder, die aus unterschiedlicher Perspektive fotografiert und durch zwei Augen betrachtet, dreidimensional wirken. Hier sah ich Hochhäuser in New York, plastisch leuchtende Wasserfälle mit grün kolorierten Grashalmen im Vordergrund, eine Straßenszene in Philadelphia, Pferdekutschen, elegant gekleidete Frauen mit Hut.

Die kreisrunde Konstruktion mit den 24 Stationen mit jeweils zwei Gucklöchern, dahinter ein Karussell aus vorbeifahrenden Lichtbildern wurde um die vorletzte Jahrhundertwende als „billiger Reiseersatz angepriesen“, indem es den Besuchern unbekannte ferne Länder näherbrachte. Walter Benjamin schrieb in der „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ über das Kaiserpanorama, das damals schon von den bewegten Bildern des Kinos abgelöst, vor allem noch eine Attraktion für die Kinder war. Dieses eigentlich störende Klingeln, nachdem das Bild nochmals im Abschied seiner ganzen Schönheit erstrahle, mache den eigentlichen Zauber aus, und dem Kind erscheinen die unbekannten und fremden Bilder plötzlich sehr nah, indem sie von ähnlichen bekannten Bildern überblendet werden: „Es kam vor, daß die Sehnsucht, die sie erweckten, nicht in das Unbekannte, sondern nach Hause riefen.“ Zu bemerken ist, dass Walter Benjamin, als er dies in den dreißiger Jahren im Exil in Paris schrieb, so etwas wie Heimat bereits verloren hatte. Auch mich erinnern die New Yorker Hochhäuser auf den Bildern im Kaiserpanorama an das Maresi-Hochhaus in Wels und das Lochergut in Zürich und auf meinen Spaziergängen sehe ich im tiefgrünen Wasser der Traun die Limmat und gehe auf einmal am birkengesäumten Uferweg der Kindheit in Richtung Höngger Wehr.

In Passau steigt die Familie aus. Sie fragen mich bereits eine halbe Stunde vorher, ob dies nun Passau sei, stehen viel zu früh an der Tür, um den Ausstieg ja nicht zu verpassen, weil der Zug ja nachher über die Grenze fährt. Ich fahre weiter, über die Grenze, die wieder eine Grenze ist, für einige zumindest, zurück nach Wels, in mein temporäres Zuhause.

Kolumne in den OÖN vom 9. Juni 2016

 

Ein Gedanke zu “Kolumne: Im Kaiserpanorama

  1. Sehr geehrte Frau Sourlier,
    herzlichen Dank für Ihren Artikel “Im Kaiserpanorama” vom 9.6. in den OÖ. Nachrichten. Es ist eine großartige Idee, die Bahnfahrt mit dem Kaiserpanorama in Verbindung zu bringen. Mich persönlich freut der Artikel besonders, weil es den Blick von außen bedarf, um an das Kaiserpanorama zu erinnern. Immerhin ist es das einzige in allen Originalteilen erhaltene Kaiserpanorama in ganz Europa. Restaurierte und umgebaute Stücke gibt es mehrere, aber das Welser Kaiserpanorama wurde von seinem Standort am Ring abgebaut und unverändert ins Depot des Museums transportiert. Mein Bezug dazu ist ein besonderer. Als Abteilungsleiter für Kultur und Bildung habe ich mit dem Öst. Filmarchiv über die Rückgabe dieses seltenen Gerätes an die Stadt Wels verhandelt. Es gab heftigen Widerstand und die Verhandlungen dauerten insgesamt zwei Jahre, aber schließlich haben wir das Welser Kaiserpanorama wieder zurück bekommen und konnten es der Öffentlichkeit präsentieren. Wenn Sie mehr über das Kaiserpanorama und seine Geschichte erfahren möchten kann ich gerne mit Ihnen darüber plaudern. Schreiben Sie mir einfach zurück ob Sie interessiert sind dann könnten wir ab nächster Woche gerne einen Termin vereinbaren. Einen schönen Tag noch wünscht Ihnen Walter Hödl.

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